Aufs Böllern

selective focus photography of sparkler
Photo by Javon Swaby on Pexels.com

Bei der Böllerdiskussion wird mir ganz warm ums Herz. Ich habe lange nicht mehr geböllert, aber ich weiß noch genau, wie das war: anzünden, werfen, auf den Knall warten, Knall genießen, weitergehen, den nächsten Böller in die Hand nehmen, und so weiter und so fort. Man kann das Böllern als aggressiven, männlichen Akt werten, als pubertären Zerstörungsdrang, als Freudsche Ersatzhandlung von sexuell unbefriedigten Halbstarken, als Überbleibsel eines patriarchalischen, Umwelt-zerstörenden, dem Untergang geweihten Systems, aber das muss man nicht. Man kann im Böllern auch das Leben selbst erkennen.

Den Knall könnte man erstmal für das nehmen, was er ist: ein Geräusch, das sich dadurch auszeichnet, dass es zwar sehr laut ist, aber von kurzer Dauer. Man kann sich auch in Erinnerung rufen, dass in der Silvesternacht ein Jahr zu Ende geht und ein neues beginnt. 

Und was die vielen jungen Männer angeht, die sich vorzugsweise diesem Brauch hingeben: Man kann sie für das sehen, was sie sind: Menschen, die mit das, was ich Leben nenne, geradezu überlaufen, die aufgrund ihrer Konstitution nicht anders können, als nach vorne zu stürmen, mit vollem Tank in ein ungewisses Jahr, wo Unheil, Glück und große Veränderungen auf sie warten, so oder so oder so. 

Schon immer haben Menschen sich die Frage gestellt, wie man mit der Zukunft umgehen soll. Mag sein, dass diese Fragen ab einem bestimmten Alter weniger dringend werden: Wenn alles gut läuft, wird sich das 62. Lebensjahr nur geringfügig vom 63. unterscheiden. Aber mit 17 ist das anders. Mit 17 kann man alles werden, oder nichts. Und vielleicht geht man deswegen so gerne böllern. Weil es Dinge gibt, die getan werden müssen. Weil man sie nicht in Sprache packen kann. 

Frühere Kulturen haben Tiere geschlachtet. Man brachte den Göttern Opfer. Auch das kann man blöd finden. Muss man aber nicht. Man muss sich nur in Erinnerung rufen, wie sich eine ungewisse Zukunft anfühlt, um das zu verstehen. Man muss nur sich an die eigenen Opfer erinnern, die man im Leben schon gebracht hat, und zwar für die eigenen Götter. Oder nennen wir sie “Ziele”. Ziele, die sich man am Anfang jedes Jahres in Erinnerung rufen soll.

Auch die Azteken forderten keine Menschenopfer, um Leben zu zerstören. Nein, sie taten es, um den Lauf der Sonne und den Fortbestand der Welt zu sichern. 

Damit will ich nicht sagen, dass ich Menschenopfer gut finde. Damit will ich sagen, dass auch Azteken Menschen waren. Genau wie wir. 

In unserer Kultur ist es so, dass wir in der Silvesternacht feiern. Wir lassen es knallen und machen Neujahrsvorsätze. So mancher weiß gar nicht, warum, und hat vielleicht keine Lust. Und doch: Jahr ums Jahr, wenn runtergezählt wird, ertappt sich der gleiche Mensch dabei, dass sein Herz höher schlägt. Dass er froh wird und laut mitzählt. Vielleicht ist das auch alles gar nicht so wichtig. Vielleicht ist es aber auch so, dass es genau diese Dinge sind, die wichtig sind. Ich wünsche allen ein tolles neues Jahr und einen erfolgreichen Rutsch!

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Daniel Tutt

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