
Männlichkeit ist keine Krankheit, die es zu überwinden gilt. Ich halte diese Ideologie von “toxischer Männlichkeit”, die aus den USA zu uns rüberschwappt, für gefährlich. Man tut Männern und vor allem Heranwachsenden nichts Gutes, wenn man ihnen suggeriert, dass mit ihnen schon deswegen etwas nicht stimmt, weil sie “Risikobereitschaft” oder “ausgeprägtes Leitsungsdenken” zeigen. Oder weil sie “Schwäche vermeiden”. Es geht wie immer darum, wie diese Eigenschaften kanalisiert werden. Auch Männer sind Individuuen.
Im Übrigen ist “schwach sein” keine Tugend. Man ist nicht schon deswegen “gut”, weil man schwach ist und Risiken scheut. Gandhi war nicht “schwach”. Jesus auch nicht. Jon Snow auch nicht. Krankenschwestern sind nicht “schwach”. Wer immer nur schwach und ängstlich ist, wird es sehr schwer haben, überhaupt irgendwem iwas Gutes zu tun, sich selbst eingeschlossen. Es ist im übrigen auch völlig falsch so zu tun, als sei Männlichkeit mit der “Abwertung von Frauen” gleichzusetzen. Alles, was ich in dem Artikel abgewertet sehe, sind Männer, die hier allesamt wie keimende Psychopathen behandelt werden, die es zu zügeln gilt.
Und dann sollen alle noch anerkennen, dass sie priviligiert sind? Sind Männer nun “toxisch beinflusst” und deswegen krank – oder priviligiert? Geht streng genommen beides auf einmal? Und wie sollen junge Männer sich denn einbringen mit ihrem “Einfluss” – sofern sie welchen haben – wenn ihnen gesagt wird, dass ihr ganzes Denken auf toxischen Fehlannahmen beruht? Diese “Tipps” führen doch dazu, dass man sich als “Mann” zurücknimmt, oder nicht? Dass man sich vielleicht lieber zuhause in den Keller sperrt, um den ganzen Tag Computerspiele zu zocken, als in die Welt zu gehen.
Oder ist “PC-Zocken” auch nur eine falsche Vorstellung von Männlichkeit, ein gesellschaftliches Konstrukt?
Gott, dieses Denken ist so wiedersprüchlich und diffus und unlogisch, da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll. “Klassisch männliche Eigenschaften gibt es nicht. Männlichkeit ist ein Konstrukt.” Das ist so was von falsch. Und ich behaupte, dass jeder einzelne Mensch, der nicht völlig ideologieverblendet durch die Welt läuft, das auch weiß. Da muss man nur die Augen aufmachen. Aber auch so: in der wissenschaftlichen Welt gibt es nicht eine erstzunehmende Debatte darüber, ob es männliche Eigenschaften gibt.
Um hier vieles vorwegzunehmen: es geht hier wirklich nicht um “Empathie” oder “Gefühle” oder “Gesundheit”, wie dieser Artikel vielleicht vorgaukeln möchte (Der Artikel und die Leitlinien der APA sind pure idelogie, es geht da nur um Macht.) Ich habe auch Gott weiß kein Problem damit, wenn Männer Gefühle zeigen oder sich “weiblich” verhalten. Und ich habe sehr wohl ein Problem damit, wenn gewaltbereite Assis sich assi verhalten. Ich habe aber eben auch Problem damit, wenn Männlichkeit per se pathologisiert wird. Das hilft niemandem weiter.
Julian Paul Merrill arbeitet als Arzt in der Kinder- u. Jugendpsychiatrie
Dieser Blog-Eintrag bezieht sich auf die neuen APA-Leitlinien und den folgenden Artikel dazu: https://ze.tt/rollenbilder-sprengen-so-koennen-wir-toxische-maennlichkeit-ueberwinden/?utm_campaign=ref&utm_content=zett_zon_parkett_teaser_x&utm_medium=fix&utm_source=zon_zettaudev_int&wt_zmc=fix.int.zettaudev.zon.ref.zett.zon_parkett.teaser.x&fbclid=IwAR0O15sr74H5HeTRiKhgd2RgRb1oeH9pEyaZCsXK9GQVIYQAYAAlsRlW5bU